Dem jungen Mann auf dem Foto stehen die Haare nicht nur sprichwörtlich zu Berge. Ängstlich und angewidert blickt er auf etwas auf seiner weit ausgestreckten Hand, nur man sieht es nicht und das hat seinen Grund – es ist ein wissenschaftliches Experiment. „Zensiert“ prangt über dem Bild auf der Website des Instituts für Psychologie der Universität Jena. Dass dort ursprünglich die hauseigene Vogelspinne namens Karla zu sehen war, wissen nur die Mitarbeiter des Instituts – es geht also um Forschung zur Spinnenangst (Arachnophobie).
Die Wissenschaftler wollen jenen Prozessen auf die Spur kommen, die sich bei Menschen mit Spinnenangst im Gehirn abspielen, wenn sie Bilder ihrer achtbeinigen „Lieblingstiere“ zu Gesicht bekommen. Doch allein der Anblick der grazilen Spinnen-Dame Karla – eigentlich gedacht als lockerer Einstieg in einen Fragebogen für potenzielle Probandinnen – löste bei einigen Website-Besuchern bereits Angst und Entsetzen aus. Genau jene Reaktionen, die die Jenaer Experten mit einem im Frühjahr startenden Forschungsprojekt untersuchen wollen.
Dabei konzentrieren sie sich auf Frauen, weil diese das Gros unter den weniger als zehn Prozent Spinnen-Phobikern der deutschen Gesamtbevölkerung ausmachen, weiß Judith Lipka. Die Jenaer Psychologin arbeitet gemeinsam mit ihren Kollegen Thomas Straube und Wolfgang Miltner an einem auf zwei Jahre von der Deutschen Forschungsgemeinschaft geförderten neurowissenschaftlichen Projekt. Sie wollen ergründen, „wie das Gehirn vermeintlich bedrohliche Reize verarbeitet und das Entstehen von Angstzuständen steuert“, erläutert sie das Ziel.
Damit wollen die Forscher die neurobiologischen Mechanismen des Erlebens von Angst generell besser verstehen lernen, um wirksame therapeutische Ansätze weiterentwickeln zu können. Dazu erfassen sie mittels Hirnstrommessung (EEG) und Kernspintomographie die im Gehirn ablaufenden Prozesse vor und nach einer – bereits erfolgreich erprobten -Kurzzeit-Therapie, um deren Effekte nachzuweisen. Das sei ein viel versprechendes Forschungsfeld, macht Judith Lipka deutlich. Auf der Website musste die eigentlich friedfertige Vogelspinnen- Dame Karla zwar weichen, um für die geplanten Untersuchungen möglichst viele Frauen mit Spinnenangst zu erreichen.
In absehbarer Zeit jedoch werden sich die mehr als 60 an der Studie teilnehmenden Spinnen-Phobikerinnen ihr stellen, sie ansehen, sogar anfassen müssen; und das so lange, bis sie Karla und ihren vermeintlich gefährlichen Artgenossen nicht mehr „spinnefeind“ sind, in ihrer Gegenwart nicht mehr die Kontrolle verlieren.
Dann wird sich zeigen, ob sich die Vorgänge im Gehirn der Phobikerinnen jeden Alters und Berufs, denen zum Vergleich normal reagierende Probandinnen zur Seite gestellt werden, ebenso normalisieren wie die Angst vor den achtbeinigen Wesen. Und weil bekannt ist, dass bei längerer „Abstinenz“ von dem panische Angst auslösenden Objekt die Wirkung der Therapie nachlassen kann, wiederholen die Psychologen ihre Messungen nach einem Jahr.