Höhle beleuchten, Kirche bescheinen, Haus erhellen – das war einmal. Kerzen machen gerade eine steile Karriere als Luxusaccessoire.
Schön war die Zeit: Zumindest auf dem Gemälde „Market by candlelight“ von Petrus van Schendel aus dem Jahr 1869. Kerzen waren damals unentbehrlich.
Haben Sie Kerzen im Haus? Warum das denn? Braucht doch heute eigentlich keiner mehr. In Smart Homes wird die Beleuchtung über das iPad gesteuert, selbst in nicht smarten Häusern kann man Glühlampen zu Ravels „Bolero“ dimmen und Carports anstrahlen wie das Brandenburger Tor. Wenn der Strom bei Gewitter ausfällt, ersetzt das Handy die Taschenlampe.
Umso erstaunlicher ist es, dass der Kerzenabsatz boomt – und das trotz steigendem Umsatz mit LED-Kerzenimitaten. Nach Angaben der European Candle Association hat umgerechnet jeder EU-Bürger im vergangenen Jahr rund 1,3 Kilo Kerzen gekauft; das waren 3,4 Prozent mehr als im Vorjahr. In ganz Europa gingen 654000 Tonnen über den Ladentisch. Die Deutschen verbrennen sogar doppelt so viel wie der EU-Durchschnittsbürger: 2,6 Kilo pro Jahr.
Die eigentlich unnützen Kerzen sind die heimlichen Stars der Häuser geworden, als Dekorationsobjekt und brennender Duftspender. In Zeiten von virtueller Liebesglut, Kaminsystemen hinter Sicherheitsglas und Rauchmeldern ist die Geste der Hand, die ein Streichholz entzündet, die Gegenbewegung zum Burnout: Feuerspan an den Docht halten, zusehen, wie die Flamme emporsteigt und dann ins Gelb und Blau schauen.
„Die Deutschen haben eine ganz eigene Kerzentradition“
„Um auf dem Kerzenmarkt in Deutschland erfolgreich zu sein, muss man entweder Massenware produzieren oder auf sehr hochwertige, überraschende, auch verrückte Produkte setzen. Das Mittelfeld ist zusammengebrochen“, sagt Thomas Engels, 52 Jahre, Chef der Engels Kerzenmanufaktur in Kempen am Niederrhein. Er ist Kerzenhersteller in dritter Generation, beschäftigt 55 Mitarbeiter, setzt auf das obere Preissegment und stattet allein so prestigeträchtige Häuser wie den Aachener Dom mit jährlich 40000 bis 50000 Kerzen aus. Abgesehen von liturgischen Objekten stellt Engels Outdoorlichter, Duftkerzen, Spezialanfertigungen für die Kosmetikindustrie und Tafelkerzen für Privathäuser her.
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Darunter Möpse, Ananas und Weihnachtsmänner zum Anzünden und Massagekerzen, mit deren Mischung aus Kakaobutter, Vaseline und Kokosöl man sich auch Bauch, Beine und Po eincremen kann. „Die Deutschen haben eine ganz eigene Kerzentradition, die eng mit der Vorstellung von Gemütlichkeit, Innerlichkeit und Besinnlichkeit verknüpft ist“, hat er beobachtet. Generell werde in den nördlicheren Ländern Wert auf Licht im Haus gelegt.
Aktuelle Kerzenkollektionen orientieren sich wie die meisten anderen Interiorsparten nicht nur an Mode-, sondern auch an Ernährungstrends. So hat sein Unternehmen gerade eine Vegan-Kerzen-Linie entwickelt, die ganz aus Sonnenblumenöl hergestellt wird. Kein Paraffin – ein Abfallprodukt aus der Erdölindustrie, das einst die Kerzenherstellung revolutionierte, das Produkt demokratisierte und heute viel in die Schmierstoffindustrie geht. „Nachhaltigkeit und Bio wird für Kunden immer wichtiger – Kerzen aus reinen Pflanzenölen, dazu in Behältern aus Recycling-Glas, das läuft.“
Drei grundsätzlich unterschiedliche Herstellungsverfahren
Über den Landhausstil, der gefärbte Kerzen von ihrem veralteten Kunstgewerbe-Hautgout befreite und vom rheinischen Unternehmer Gunter Lambert in Zusammenarbeit mit Engels in Deutschland populär gemacht wurde, zogen ab den 1990ern dicke „church candles“ in deutsche Wohnzimmer und Kamine ein. Abgesehen davon, dass die aus der liturgischen Formensprache stammenden Kerzen heute in Nachtclubs und Fitnesscentern brennen, ist für traditionelle Kerzenmanufakturen die Verankerung ihrer Produkte in christlichen Ritualen nach wie vor von Bedeutung. So hat die Herstellung von Liturgiekerzen für katholische Bistümer von Aachen bis Würzburg bei Engels eine mehr als achtzigjährige Familientradition, die bis heute rund 25 Prozent des Umsatzes ausmacht. Was selbst bibelfeste Katholiken und dezidierte Liturgiegourmets kaum wissen: Für die Zusammensetzung der katholischen Kirchenkerzen in Deutschland gibt es genaue Vorschriften – wie auch für den Messwein.
„Für Zelebrationsaltar und die Seitenaltäre stellen wir die Kerzen aus 10 Prozent Bienenwachs her, früher musste dieser Anteil sogar bei 55 Prozent und 25 Prozent liegen“, erklärt Thomas Engels. Licht und Feuer sind im Christentum von entscheidender Bedeutung, da sie in der Heiligen Schrift als Sinnbild der Gottheit gelten. Entsprechend achtsam wird immer noch mit diesem Element umgegangen. Lange durfte in der Nähe des Allerheiligsten nur Licht aus dem reinen Wachs der als keusch geltenden Bienen brennen. Auch auf die Zusammensetzung von Opferlichten, die nicht stark rußen, wird nach wie vor viel Wert gelegt, um die Gebäude und Kunstgegenstände zu schonen. In einigen Bistümern müssen die Teelichte neuerdings schon nach circa zwei Stunden erlöschen und nicht wie früher vier bis fünf Stunden brennen, da die Brennstellen schneller wieder besetzt werden sollen.
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© CIRE TRUDON Vergrößern
Teurer Schmuck: Kerzenbüste Louis XIV. von Maison Trudon
Für den vollkommen weltlichen Käufer, der ratlos in Discounter, Fachgeschäft oder Manufakturboutique vor der schier unüberschaubaren Vielfalt an Kerzen steht, ist es wichtig, die drei grundsätzlich unterschiedlichen Herstellungsverfahren zu kennen, denn sie bestimmen Preis und Brennverhalten: Als besonders edel gelten gezogene Kerzen, deren Docht immer wieder in ein warmes Wachsbad getaucht wird; so entstehen langsam mehrere dünne, fast sauerstofffreie Wachsmäntel übereinander. Auch gegossene Kerzen, die als Flüssigwachs in Formen gefüllt werden und langsam erkalten, haben eine hohe Qualität. Am häufigsten findet man im Handel jedoch aus Kaltwachs-Granulat gepresste Kerzen. Diese sind am billigsten, enthalten aber am meisten Sauerstoff, brennen schneller ab, rußen leichter und können größere Wachspfützen bilden.
Gezogene Kerzen erkennt man an ihrer rauhen Oberfläche, der Docht saugt nach dem Anzünden lange ruhig in der Brennschüssel. Gegossene Kerzen sind rund 30 Prozent schwerer als gepresste, da auch sie weniger Sauerstoff enthalten und dadurch länger brennen. Die teureren Kerzenvarianten sind meist durchgefärbt; die gepressten Kerzen werden oft nur mit einem Farbmantel überzogen, da Pigmente die Herstellungskosten erhöhen. Der Preisunterschied zwischen den drei Sorten ist erheblich. So kostet eine einfache gepresste Tafelkerze rund 30 bis 40 Cent, eine gezogene Kerze 1 Euro, eine gegossene Kerze 1,50 Euro. Bei den gezogenen und gegossenen Kerzen ist der Preis je nach Farbe, Dekor und Größe jedoch weit nach oben offen.
Wie groß die Bewegung auf dem Kerzenmarkt war und ist, zeigt die Entwicklung des wohl bekanntesten deutschen Kerzenherstellers, Eika aus Fulda. Die Wachsfabrik war 2008 und 2013 insolvent und gehört nun zur niederländischen Bolsius-Gruppe, dem größten europäischen Kerzenproduzenten. Das bis 2015 in Hessen ansässige Unternehmen bezeichnet sich nach wie vor als Marktführer von Qualitätskerzen in Deutschland, schloss aber im vergangenen Jahr die Manufaktur in Fulda, weil es nicht gelang, auf dem umkämpften Markt dort kostendeckend zu produzieren. Heute werden die Eika-Kerzen in den Niederlanden und Polen hergestellt.
Kerzenmarkt zwischen Massenprodukten und Luxus gespalten
Auch im Nachbarland Frankreich, in dem das Decken von Tischen und Einrichten von Salons ein Teil des traditionellen Art de Vivre ist, hat sich der Kerzenmarkt zwischen Massenprodukten und Luxus scharf aufgespalten. Und so zelebriert man das Gegenteil von billigster Industrieware opulent in der Pariser Rue de Seine, in der Stammboutique der ehemaligen königlichen Kerzenmanufaktur Cire Trudon. Eine Firma mit vornehmem Stammbaum: Angeblich 1634 gegründet, war sie früher Lieferant des Sonnenkönigs, Napoleons und der großen Kirchen, ist die älteste noch bestehende Kerzenmanufaktur der Welt – und Lieblingsgeschäft der eleganten Pariserinnen, die die Frage, ob ihre Kerzen matt oder glänzend, durchgefärbt oder mit Farbmantel überzogen sein sollen, so ernst nehmen wie den Reifegrad des Briekäses. Sie wählen grüne Neon-Stumpenkerzen mit goldenen Wachskameen, probieren Duftkerzen für 65 Euro, die den Namen „Prolétaire“ tragen und lassen Tafelkerzen passend zu ihren Tischtüchern einfärben.
Trudon setzt für seine Hausmarke ganz auf Duftkerzen. Damit steht die Manufaktur in einer langen Tradition. Denn seit dem 18. Jahrhundert wurden parfümierte Kerzen produziert, die die stinkende Raumluft verbessern und Insekten abschrecken sollten. In einer Zeit, in der Produktmanager eine neue Generation von Massenprodukten aus 3D-Druckern planen, erzählt man bei Trudon gern die Anekdote, dass Napoleon Bonaparte seinem sehnlich erwarteten Thronfolger Napoleon Franz im Jahr 1811 als einzige Gabe zur Geburt eine Kerze der Manufaktur schenkte, die das Profil des Vaters zeigte. Ähnliche Modelle gibt es heute, in vielen Farben neu interpretiert, bei Trudon zu kaufen; Napoleons Kerze läuft bestens. Genauso wie parfümierte Streichhölzer und Wachsbüsten historischer Figuren nach Modellen, die in Pariser Museen stehen: Marie-Antoinette und Voltaire in Weiß, Rosa oder Schwarz zum Anzünden.
Der größte Absatzmarkt sind die Vereinigten Staaten, gefolgt von Frankreich und Deutschland. Die kulturellen Unterschiede sind sehr groß. „In den Vereinigten Staaten sehen wir eine starke Konsumkultur, die Leute kaufen unsere Kerzen, zünden sie sofort an, benutzen sie unbefangen und ständig. In Asien werden die Kerzen meist als Geschenke gekauft, feierlich überreicht, in ihrer Verpackung gelassen und stolz ausgestellt“, erklärt Manager Julien Pruvost. Der hohe Einstiegspreis, 65 Euro für eine Duftkerze, 105 Euro für eine Wachsbüste, ist auch auf den Anteil an Handarbeit zurückzuführen: 20 Arbeiterinnen gießen in der normannischen Manufaktur die Wachsmischungen zwar in maschinellen Anlagen, doch jedes Stück wird per Hand veredelt.
Beim Besuch in einer Trudon-Boutique bekommt man auch beigebracht, wie man mit Kerzen richtig umgeht: nie einfach auspusten, sondern den Docht mit einem Streichholz vorsichtig ins heiße Wachs tauchen und wieder aufrichten. Oder mit einem Hütchen ersticken. Den Docht immer neu anschneiden, damit sich kein schwarzer Rauch bildet, und die Duftkerze nicht länger als drei, vier Stunden brennen lassen, da sonst die Gefahr besteht, dass das Glas springt. Und das Haus in Flammen aufgeht.