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Wenn der Bruder die Schwester belästigt – ein Fallbeispiel

David E. wollte nie mehr nach Brandenburg kommen. Der heute 30-Jährige fand vor knapp drei Jahren einen Job in Liechtenstein und wohnt seitdem „wie ein Einsiedler“ im benachbarten Österreich. Gestern musste der Einzelgänger aber in die Mark zurückkehren – vor dem Potsdamer Landgericht wird ihm der Prozess gemacht. Die Staatsanwaltschaft wirft ihm vor, in sieben Fällen seine beiden kleinen Schwestern in der Nähe von Belzig und in Buchholz sexuell missbraucht zu haben.

So soll er 1996, selbst noch minderjährig, seine damals erst drei Jahre alte Schwester im gemeinsamen Zuhause zum Sex gezwungen haben. Weitere Male soll ihm das kleine Mädchen zum Opfer gefallen sein. Die genauen Zeitpunkte und Abläufe der lange zurückliegenden mutmaßlichen Taten sind dabei weitgehend unbekannt.

Auch seine zunächst zehn und später elf Jahre alte Halbschwester soll mehrmals Opfer von unsittlichen Berührungen geworden sein. Einmal belästigte er laut Anklageschrift im Auto der Eltern die Halbschwester. In einem Brief habe sie diese Vorwürfe der gemeinsamen Mutter offenbart, sagte der Angeklagte. Vor Gericht gab David E. an, er habe Erinnerungslücken an den Zeitpunkt der mutmaßlichen Taten. Die familiäre Situation sei durch wechselnde Partner der Mutter, Alkoholprobleme und mehrere Umzüge verworren gewesen. Damals habe er vier Mal vergeblich versucht, sich das Leben zu nehmen, sagte der Angeklagte weiter.

David E. räumte ein, Videos mit Inzestdarstellungen besessen zu haben. Darin sei der Sex zwischen Familienangehörigen aber lediglich gespielt worden, sagte er. Die Filme hätten für ihn den „Reiz des Verbotenen“ gehabt. „Ich war von der Handlung fasziniert.“ Heute schaue er sich so etwas nicht mehr an. Er besuche nur noch Erotik-Chats im Internet sowie Bordelle. Der Angeklagt gab auch zu, früher Kinderpornoseiten im Internet besucht zu haben. Auch Seiten, auf denen der Sex zwischen Frauen und Tieren dargestellt werde, habe er mehrfach angeklickt. Von seiner damaligen Freundin verlangte er laut deren Aussage bei der Polizei, dass sie so etwas auch ausprobiere. Die Richterin ordnete ein Gutachten über die Persönlichkeit des Angeklagten an.

Zum Prozess nach Potsdam reiste der Angeklagte eigenen Angaben zufolge mit lediglich 50 Euro Bargeld in der Tasche an. Wegen seines Hangs zum Glücksspiel und mehrerer teurer Bordellbesuche habe er Schulden bei seinem Vermieter. Die kommenden Tage wolle er aus Geldmangel auf den Straßen von Potsdam verbringen und sich für Gespräche mit dem Gutachter bereit halten.

Inzest in Deutschland strafbar

Inzest steht in Deutschland auch weiterhin unter Strafe. Das hat das Bundesverfassungsgericht in Karlsruhe entschieden. Die geltende Strafbarkeit des Geschlechtsverkehrs zwischen Geschwistern sei verfassungsgemäß, heißt es in dem gestern veröffentlichten Beschluss. Das Inzestverbot sei zur „Bewahrung der familiären Ordnung“ notwendig. Es sei auch ein Instrument zum Schutz der „Gesundheit der Bevölkerung“, da es beim Inzest eine besondere Gefahr von Erbschäden gebe.

Der Paragraf 173 des Strafgesetzbuches (StGB), der den „Beischlaf zwischen leiblichen Geschwistern“ mit Freiheitsstrafe bis zu zwei Jahren oder mit Geldstrafe bedroht, bleibt damit in Kraft. Das Recht auf sexuelle Selbstbestimmung dürfe insoweit eingeschränkt werden, heißt es in dem Beschluss. Die „lebenswichtige Funktion der Familie für die menschliche Gemeinschaft“ werde entscheidend gestört, wenn ihre Ordnung „durch inzestuöse Beziehungen ins Wanken gerät“.

Die Entscheidung des Zweiten Senats geht auf den Fall des wegen Inzests verurteilten Geschwisterpaares aus dem sächsischen Zwenkau zurück, das vier gemeinsame Kinder hat. Die Verfassungsbeschwerde des Bruders blieb nun ohne Erfolg. Er war wegen Geschwisterinzests zu Freiheitsstrafen verurteilt worden. Sein Anwalt Joachim Frömling will nun vor dem Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte eine Klage einreichen. „Das ist der nächste logische Schritt“, sagte er. Er sei vor allem über die Begründung des Gerichts enttäuscht, wonach die Unversehrtheit des Nachwuchses geschützt werden müsse. Diese „eugenische“ Argumentation könne er nicht nachvollziehen.

Auch der Vorsitzende Richter des Zweiten Senats, Gerichtsvizepräsident Winfried Hassemer, wich in einem Minderheitsvotum von der Entscheidung des Senats ab. Nach seiner Ansicht verstößt die Strafvorschrift zum Inzest gegen den Grundsatz der Verhältnismäßigkeit. Es spreche viel dafür, dass die Bestimmung „lediglich Moralvorstellungen, nicht aber ein konkretes Rechtsgut im Auge hat“.

Die Richtermehrheit argumentierte, dass lediglich der „Vollzug des Beischlafs“ zwischen leiblichen Geschwistern und damit „ein eng umgrenztes Verhalten“ mit Strafe bedroht sei. Durch das Inzestverbot würden „die Möglichkeiten intimer Kommunikation nur punktuell verkürzt“. Betroffene würden nicht in eine „ausweglose Lage“ versetzt. Es liege daher kein unzulässiger Eingriff in den Kernbereich privater Lebensgestaltung vor. Studien zeigten zudem, dass es bei Inzestverbindungen zwischen Geschwistern zu gravierenden familien- und sozialschädigenden Wirkungen kommen könne. Kinder aus Inzestbeziehungen hätten Schwierigkeiten, ihren Platz im Familiengefüge zu finden. Das Inzesttabu sei zudem „in der Gesellschaft verankert“. (AZ: 2 BvR 392/07)

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