Nur wenige Babys kommen schwerhörig auf die Welt. Früher war es oft dem Zufall oder aufmerksamen Eltern zu verdanken, dass die eingeschränkte Hörfähigkeit oder gar Taubheit des Neugeborenen entdeckt wurde. Oft vergingen Jahre, bis die Eltern die Gewissheit hatten.
Das Zeitfenster für eine erfolgreiche Behandlung sei jedoch nur sehr klein, sagt der Chefarzt der Frühgeborenenstation an der Rostocker Südstadtklinik Dirk Olbertz. In Mecklenburg-Vorpommern werden daher seit vier Jahren alle Neugeborenen mit einer speziellen Testmethode untersucht. Im Schlaf „verrät“ das Baby den Ärzten, wie es um seine Ohren bestellt ist. Die Innenohrschwerhörigkeit – daran leiden rund
96 Prozent der Hörbehinderten – wird mit einem Testton ermittelt. Das standardisierte Signal wird ins Innenohr geleitet, über Schwingungen weiter transportiert und schließlich reflektiert. Dieses akustische Signal ist messbar. Der Hörtest wird seit 2002 an allen Geburtskliniken im Land durchgeführt. Rund 95 Prozent der Neugeborenen werden so automatisch erfasst. Mecklenburg-Vorpommern ist das einzige Bundesland, in dem es diese Untersuchung flächendeckend gibt.
Zwar seien mit etwa 0,1 Prozent der Neugeborenen nur wenige Kinder von Geburt an tatsächlich schwerhörig oder taub, sagt Olbertz. „Aber die Behinderung ist gravierend.“ Wird die Erkrankung früh erkannt, könne das Kind trotz der Beeinträchtigung mit Hilfe von Hörgeräten optimal die Muttersprache erlernen. Nur so sei die geistige Entwicklung der Kinder sicherzustellen, sagt der Mediziner. Bis maximal zum vierten Lebensjahr könnten Ärzte und Eltern die Entwicklung beeinflussen.
Nahezu alle Eltern seien deshalb mit der Untersuchung einverstanden, sagt der Rostocker Arzt. 2005 wurden 11 223 Neugeborene untersucht, nur 610 Babys nicht, weil sie beispielsweise zu Hause zur Welt kamen. Von den Untersuchten zeigten 715 Auffälligkeiten, die weitere Kontrollen erforderlich machten. Die Rate von sechs Prozent sei
üblich, erläutert Olbertz. Aber die wenigsten davon seien taub.
Die Daten der Untersuchungen werden an die Screening- Zentrale der Greifswalder Universität gemeldet. Gibt es einen Verdacht auf Hörschädigung, werden weitere Untersuchungen empfohlen. Was bislang fehlt, ist eine automatische Benachrichtigung der Geburtsklinik, wenn diese Untersuchung nicht erfolgt. „Diese Benachrichtigung“, so glaubt Olbertz, „würde helfen, die Quote der Nachuntersuchungen zu erhöhen.“ Denn diese ist noch steigerungsfähig. Aber dafür fehlen bislang Geld und Personal.
Kinderärzte, Gynäkologen und Hals-Nasen-Ohren-Ärzte planen daher, das Screening für Stoffwechsel, der durch Blutabnahme beim Neugeborenen untersucht werden kann, und den Hörtest zusammenzulegen. Sobald die entsprechende Software verfügbar und die Finanzierung gesichert sei, könne dies starten, sagt der Leiter der Screening-
Zentrale, Tadeus Nawka. Der Hals-Nasen-Ohren-Arzt hält es für dringend erforderlich, dass diese Untersuchung als Kinderuntersuchung gesetzlich eingeführt wird. Damit wäre auch das Problem der Finanzierung vom Tisch. Die Krankenkassen übernehmen bislang die Kosten nicht. Dabei sei die Wirksamkeit der Methode durch Pilotprojekte ausreichend belegt, klagt Olbertz. Der entsprechende Bundesausschuss prüfe noch, ob die Krankenkassen die Kosten übernehmen. Die Kliniken müssen pro Untersuchung rund 18 Euro berappen. Die Erfassungsbögen werden vom Land finanziert.